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Die Agenturen in den Zeiten der KI

Kim Alexandra Notz

25. November 2024

Im März 2024 sorgte ein Zitat von Sam Altman für Aufsehen in der Agenturbranche. Der CEO von OpenAI erwartet, dass 95 Prozent dessen, wofür Marketer heute Agenturen, Strategen und Kreativprofis nutzen, von der KI übernommen wird – einfach, fast sofort und nahezu kostenlos. Die KI wird, so Altman, das Creative auch gegen echte oder synthetische Fokusgruppen testen, um Ergebnisse vorherzusagen und zu optimieren. Wieder alles kostenlos, sofort und nahezu perfekt. Bilder, Videos, Kampagnenideen? Kein Problem.

Vielleicht noch erschreckender ist der Zeitrahmen für Altmans Prognose: etwa fünf Jahre – wovon ein Jahr seit seiner Aussage schon fast wieder vergangen ist. Bleiben uns noch vier Jahre, um dieser Herausforderung zu begegnen. Aber selbst wenn der Zeitrahmen zu optimistisch ist oder es am Ende doch nur 90 oder 85 Prozent wären, so ist sich die Branche weitgehend einig: Wir kommen am Einsatz von KI nicht vorbei, und die beste Zeit zum Testen und Lernen ist jetzt.

Wie jede neue Basistechnologie wird KI die Agenturprodukte, die Workflows und damit die Wertschöpfung massiv verändern. Die Älteren unter uns werden sich noch erinnern, wie die Digitalisierung zunächst Print, dann Radio und schließlich auch TV revolutioniert hat. Vieles von dem, was vorher Handarbeit bedeutete, wurde ganz oder teilweise automatisiert. Mit der zunehmenden Vernetzung entstanden neue Kanäle und Formate, die Automatisierung nahm weiter zu, und mit ihr das Tempo der Veränderung.

Seit Jahren rollt nun eine Welle der Automatisierung durch die Assetproduktion. Für viele Agenturen war und ist es Brot und Butter, unzählige Formate und Adaptionen für Kanäle, Kampagnen und den Point of Sale zu produzieren. Die Hyperpersonalisierung im digitalen Bereich hat bereits hochautomatisierte Systeme hervorgebracht, gegen die eine hergebrachte Assetproduktion wie das Skriptorium einer Abtei vor der Erfindung des Buchdrucks wirkt.

Die Gretchenfrage für Agenturen

Dieses Geschäft ist in Gefahr. Wenn frühere Technologiesprünge ein Indikator sind, dann wird es nicht völlig verschwinden. Es wird sich aber massiv verändern. Die Gretchenfrage für Agenturen ist, ob der Anteil der Kreativität am Geschäft wachsen wird. Wenn alles automatisiert wird, was automatisierbar ist, was bleibt dann für uns zu tun? Alles, was (noch) nicht automatisierbar ist, zum Beispiel die Entwicklung, Pflege und Bedienung der Systeme. Was davon Agenturen leisten können und wollen, müssen wir uns selbst fragen.

Was Altmans Aussage so erschreckend macht, sind die Aussichten für die eigentliche, strategische und kreative Arbeit, den Kern der Agenturen. Wenn auch diese Arbeit weitgehend automatisierbar ist, steht die Existenz der Branche auf dem Spiel. Oder anders gesagt: Was sind jene fünf Prozent unserer Arbeit, die auch ein KI-Optimist nicht der KI überlassen kann?

Die Antwort dürfte sich wie aus einer Zwiebel herausschälen, indem wir die äußeren Schichten nach und nach abtragen, sprich: automatisieren. Umgekehrt gilt es auch zu erkunden, welche neuen Möglichkeiten der Werbung durch KI entstehen. Werbeagenturen gab es ja schon, bevor Radio, TV und das Internet erfunden wurden. Um all das zu erkunden, müssen wir nicht nur neue Tools testen, sondern auch die Workflows anpassen oder gar neue Workflows und Produkte definieren.

Wie das im Alltag einer Social-First-Agentur funktioniert, hat Jasper Börnsen in Folge #125 erklärt. Er ist Innovation- und Marketing-Lead bei Justaddsugar. Die 2018 gegründete Agentur kommt aus der Bewegtbildproduktion mit Fokus auf Social Media. Von dort aus hat sie sich vertikal durch die Wertschöpfungskette vorgearbeitet, sich also mit Distribution und Produktion wie auch mit Strategie und Kreation befasst.

Nur zwei Prozent der Ressourcen

Die Distribution in den digitalen Medien und die Produktion zum Teil hochpersonalisierter Assets sind bereits heute stark automatisiert. KI wird diesen Prozess weiter vorantreiben, aber auch in der Kreation eine stärkere Rolle spielen. Bis jetzt sieht Jasper das Kerngeschäft von Justaddsugar, die Videoproduktion, noch nicht bedroht. Ein Test im Innovation Lab, das er leitet, hat jedoch interessante Ergebnisse gezeigt.

Das Ziel war, ein zuvor von der Agentur produziertes Video für die Produktvorstellung eines Kunden aus der Automobilindustrie mit einer reinen GenAI-Produktion nachzustellen, ohne dafür Material aus der Produktion zu verwenden. Mit Hilfe von Tools wie Runway, Midjourney und Stable Diffusion brauchten sie zwar nur zwei Prozent der Ressourcen, kamen aber mit Blick auf Detailgrad und Hochglanz nicht an die Qualität des Originals heran. Dennoch zeigt der enorme Produktivitätssprung das Potential von GenAI, sobald dann auch die Qualität stimmt.

Mit dieser Herangehensweise testet Jaspers Team kontinuierlich KI-Tools auf ihre Praxistauglichkeit. Vieles von dem, was sie testen, glänzt zwar auf den ersten Blick, ist aber am Ende doch kein Gold. Und solche Tools sollten gar nicht erst in die Organisation getragen werden. Nur was Prozesse nachhaltig verbessert und direkt auf Kundenprojekten anwendbar ist, findet den Weg aus dem Innovation Lab in den Agenturalltag.

Dabei hilft ComfyUI, eine Oberfläche, mit der nicht nur AI Engineers arbeiten können. ComfyUI funktioniert wie ein Flowchart mit verschiedenen Arbeitsschritten, um wiederkehrende Aufgaben vom Formatwechsel bis zur Erstellung ganzer Bildwelten zu automatisieren. Und zwar unter Berücksichtigung des im Branding Guide definierten Look & Feel, was für Agenturen essenziell ist.

Für eine Bewegtbild-Agentur wie Justaddsugar liegt hier Potential, die Wertschöpfungskette in Richtung Lower Funnel zu verlängern. Denn dort werden weniger Videos als vielmehr Stills gebraucht, davon aber viel und passend zum Bewegtbild im Upper Funnel. Hier geht es dann eher in Richtung Conversion, was wiederum anderen Content bedingt und damit neue Aufgabenfelder für die Agentur.

Ein gemischtes Bild auf Kundenseite

Auf Kundenseite zeigt sich heute ein gemischtes Bild, wenn es um die Offenheit für den Einsatz von KI geht. Der Kostendruck und die Erwartung möglicher Einsparungen kollidiert mit ethischen Bedenken, Datenschutz und Policies, die den Einsatz womöglich nicht erlauben. Manche Kunden streben eine 100-Prozent-Lösung an, was den Einsatz dann effektiv verhindert, während andere bereit sind zu testen und zu lernen.

Dabei ist der Erfahrungsaustausch in der Agenturwelt sehr wichtig: zu teilen, was wir als Lösung schon getestet haben, was gut funktioniert und was gar nicht. Es geht um Innovation, für die Agenturen selbst, ihre Tools, Workflows, Prozesse und Produkte, und damit letztlich das Geschäftsmodell. Hier haben wir auch eine Verantwortung, die Menschen in den Agenturen auf die Reise vorzubereiten und mitzunehmen.

Es ist in Ordnung, dass nicht die gesamte Agentur sofort Feuer und Flamme für jedes neue Tool ist. Dafür gibt es Teams wie Jaspers Innovation Lab, die selbst tiefer einsteigen und dann die Treiber in den einzelnen Bereichen identifizieren, um Erfolgsmomente zu schaffen und damit auch andere mitzureißen.

Welche Features neue Tools mitbringen, ist dabei nur ein Aspekt. Es geht auch um die richtige Stelle in der Wertschöpfungskette, die sich dadurch auch selbst verändert. Dazu reicht es nicht aus, sich Innovationen im Labor auszudenken. Wir müssen auch wieder aus dem Lab zurück in die einzelnen Crafts gehen, um dann den Weg gemeinsam mit den Teams auch operativ zu beschreiten.

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