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Eine neue Rolle für Mediaagenturen

Kim Alexandra Notz

6. Januar 2025

Ein großer Teil der Existenzberechtigung von Agenturen besteht darin, dass sie sich immer wieder neu erfinden. Markt, Agenturkunden, Konsumenten und Technologie verändern sich und schaffen so Raum für innovative Agenturen. Das Marketing steht heute durch die steigende Komplexität, die fortschreitende Fragmentierung der Kanäle und Zielgruppen, die wachsende Bedeutung von Technologie und das zunehmende Tempo unter Druck.

All das spiegelt sich in der Agenturlandschaft wider und stellt Marketingverantwortliche vor die Frage nach dem richtigen Agentursetup. Früher hieß die Frage: Wer ist die Leadagentur? Und die Antwort war gern: eine Kreativagentur. Kreativität ist heute immer noch wichtig, gehört aber in den richtigen Kontext. Das heißt datengetriebenes Marketing. Wer die Martech-Systeme und damit die Daten kontrolliert, ist hier im Vorteil.

Das gibt Mediaagenturen eine Schlüsselrolle. Sie sitzen auf einem Datenschatz, der den werbungtreibenden Unternehmen gehören würde – wenn sie denn die Fähigkeiten besäßen, den Schatz zu heben. Agenturen und Berater können dabei helfen und so eine zahlenbasierte Grundlage für das Marketing schaffen. Auf dieser Basis können dann alle Beteiligten arbeiten. Wie Jim Barksdale, der ehemalige CEO von Netscape, seinerzeit  formuliert hat: „If we have data, let’s look at data. If all we have are opinions, let’s go with mine.“

So kommt es, dass Mediaagenturen heute nicht mehr allein von ihrem alten Kerngeschäft leben, das darin besteht, Werbeplätze einzukaufen, auszuspielen und zu optimieren. Zum Geschäftsmodell gehören Beratung, die auch als solche honoriert wird, und Technologie: Adtech, Martech, Retail Media und ganzheitliche Kommunikationsberatung. Für Lena-Marie Hesse, Chief Client Officer bei Publicis Media und meine Gesprächspartnerin in Folge #117, ist das alte Kerngeschäft dennoch weiterhin ein Schlüsselthema.

Die Frage nach dem Modus Operandi

Die Medialeistung muss nämlich, so ihr Argument, immer noch zum Konsumenten kommen. Durch die Hyperfragmentierung der Kanäle ist die Aussteuerung schwieriger geworden, gerade im Bereich Video – immer noch einer der effektivsten, effizientesten, wirkungsvollsten, aufmerksamkeitsstärksten Kanäle, die wir haben. Für viele Produkte wird auch weiterhin hohe Reichweite gebraucht, damit der Abverkauf stimmt, und das bei nicht unbedingt steigenden Budgets.

Und schließlich kann sich eine Mediaagentur auch über datenbasierte und technologische Lösungen differenzieren. Hier geht es darum, die Aussteuerung zu verbessern, die Kanäle in der Ausspielung zu aggregieren und in der Mediaplanung sauber definieren zu können, welcher Konsument welche Botschaft in welchem Format und in welchem Kanal wie oft bekommen soll. Darin stecken nach wie vor Themen wie Targeting und Personalisierung, mittlerweile nicht mehr so holzschnittartig wie in der Frühphase.

Neben klassischer Soziodemografie spielen Behavioural Targeting und Mindset-basiertes Targeting heute mit im Media-Konzert. Der Weg über das Mindset eröffnet dann wieder neue Möglichkeiten der Personalisierung, gerade in Kombination mit KI-gestützten Produktionsmöglichkeiten. Spätestens an diesem Punkt ist die Zusammenarbeit mit Kreativagenturen ein Thema, und es stellt sich die Frage nach dem Modus Operandi.

Hier braucht es, davon ist Lena-Marie überzeugt, eine Instanz, die durch den Prozess führt und koordiniert. Das ist nicht mehr die klassische Leadagentur, sondern eher der Connection Lead, der Owner für definierte Ways of Working. Aus ihrer Sicht sind Mediaagenturen prädestiniert dafür, weil sie kontinuierlich arbeiten, während andere Agenturen oft nur Teilprojekte oder Teilprodukte übernehmen.

Die Arbeitsweisen und Prozesse sind in der Praxis unterschiedlich. Publicis hat eigene Prozesse, arbeitet aber auch kundenspezifische Arbeitsweisen aus, oder andere Agenturen bringen ihre Prozesse mit. Das beginnt mit Abläufen, Spielregeln und regelmäßigen Terminen, um zentrale Erkenntnisse auszutauschen. Es geht darum, die richtigen Insights zusammenzubringen, qualitativ und quantitativ.

Das Operating System der Werbung

Sobald die Markenplattform entwickelt ist, sollten alle Beteiligten gemeinsam bewerten, in welchen Kontexten und Kanälen sie wie gut funktioniert. Da sitzen dann neben Media- und Kreativagentur oft auch Spezialisten für Performance, Retail oder Social am Tisch. Alle bringen ihre eigene Perspektive mit und profitieren vom Austausch und dem regelmäßigen Teilen von Learnings, auch innerhalb einer Kampagne.

Hier hilft, was Publicis als Operating System bezeichnet, eine datenbasierte Plattform, die für alle Stakeholder mehr Transparenz in den Prozess bringt: Wo steht die Kampagnenplanung? Welche Insights haben wir gewonnen? Wie entwickelt sich eine laufende Kampagne über die Zeit? Wie funktioniert sie bei den Menschen draußen im Markt? Das ist auch für Kreativagenturen spannend.

Letztlich ist das Ziel, das Marketing deutlich steuerbarer und prozessorientierter zu machen, über die gesamte Journey von Aktivierung bis zu Messung und Reporting. Dazu kommt, dass Retail und Marketing durch Commerce, D2C und Retail Media stärker zusammenwachsen. Und es geht darum, Paid und Earned Media besser zu orchestrieren und aus der Customer Journey heraus zu denken, um ein besseres und relevanteres Kommunikationserlebnis zu schaffen.

Das kann auch bedeuten, Paid-Maßnahmen zu verringern, zugunsten von Owned Media mit dem richtigen Content und den richtigen Touchpoints. Das Gesamtsystem kann so deutlich effizienter arbeiten als es Paid Media allein könnte. Vorausgesetzt, dass der Einfluss der unterschiedlichen Touchpoints und die Zusammenhänge auch messbar sind.

Angesichts der zunehmenden Fragmentierung bleibt keine andere Wahl als eine enge Zusammenarbeit von Kreation, Content und Media, unterfüttert mit Daten und Technologie, um für den Konsumenten eine effektive und effiziente Kontaktstrecke zu gestalten. Es sind Ökosysteme aus Marketing, Agenturen, Medienkanälen, Technologie und Konsumenten, die wir zu gestalten und zu entwickeln haben.

Weihnachten kommt immer so plötzlich

Solche Ökosysteme entstehen nicht über Nacht, und es braucht bei allem Tempo eine mittel- und langfristige Perspektive. Auch Kreativagenturen freuen sich über Planbarkeit, und die Saisonalität ist zumindest planbar: Weihnachten, Frühling oder Sommer kommen verlässlich jedes Jahr, und damit die saisonalen Kampagnen. Von Kreativagenturen wünscht sich Lena-Marie im Gegenzug langfristige Markenplattformen, die flexibel auf vielen Kanälen funktionieren und nicht immer noch sehr stark aus einer Richtung heraus gedacht sind: zum Beispiel „Weil’s um mehr als Geld geht“ für die Sparkasse oder „Bitte“ für Bitburger.

Komplexität und Technologie verändern auch das Thema KPIs massiv. Der klassische Media-Output – Reichweite, Klickrate, CPC – ist auf dem Rückzug zugunsten von Marketing-KPIs, die wiederum mit Business-KPIs verknüpft sind. Man arbeitet sich von Business-KPIs an Marketing-KPIs heran und entwickelt daraus die Medien- und Kommunikationsstrategie mit den richtigen Touchpoints. Der Vorteil von Mediaagenturen ist, dass sie den Erfolg der Maßnahmen auch quantifizieren können.

So lassen sich Zielgruppensegmente entsprechend der einzelnen Stufen der Customer Journey bilden, daraus Potenziale ermitteln und die Kommunikationsplanung ableiten, ohne das Qualitative aus dem Auge zu verlieren: Was bewegt die Menschen, welches Mindset haben sie, wie stehen sie zur Marke und welche Barrieren, aber auch Triggerpunkte gibt es? Hier stellt sich auch die Frage, wie oft diese KPIs eigentlich erhoben werden müssen. Manche zeigen schnelle Veränderungen und geben Hinweise, wie eine laufende Kampagne angepasst werden kann. Andere hingegen verändern sich nur langsam und müssen deshalb auch nicht wöchentlich gemessen werden.

Das Ganze ist ein System und ein Prozess, Stichwort Langfristigkeit, der mit jeder Iteration besser wird und allen Beteiligten, Agenturen wie Kunden, den Vorteil aufzeigt: dass bessere Kampagnen mit besseren Ergebnissen nicht nur den Kunden, sondern auch alle Agenturen am Tisch besser dastehen lassen. Denn letztlich treten wir alle mit dem Versprechen an, den Kunden bei seinem Wachstum zu unterstützen. Und da hilft es, ein solches System zu haben.

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