Eine neue Rolle für Mediaagenturen
Ein großer Teil der Existenzberechtigung von Agenturen besteht darin, dass sie sich immer wieder neu erfinden. Markt, Agenturkunden, Konsumenten und ... mehr lesen
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Wer sich wie ich nicht in der DJ- oder Hip-Hop-Szene auskennt, weiß wahrscheinlich nicht, was ein Backspin ist: das schnelle Zurückdrehen einer Passage auf einer Vinylschallplatte. Der Begriff selbst lässt sich noch leicht recherchieren. Was er aber in der Szene bedeutet, und wie die Szene überhaupt tickt, das erschließt sich von außen nur bedingt. Dazu braucht es Menschen, die dort verwurzelt sind. Für Marketing und Agenturen steckt darin eine Herausforderung.
Agenturen haben eine Mittlerrolle zwischen Unternehmen mit werbungtreibenden Marken und den Zielgruppen. Im Zeitalter von Massenkommunikation und Mainstreamkultur war diese Rolle stark durch Top-down- oder Inside-out-Muster geprägt. Die Bedürfnisse der Zielgruppen kamen darin hauptsächlich aus Sicht von Unternehmen und Marken vor. Aus verschiedenen Gründen, das Internet hat da auch eine Rolle gespielt, funktioniert das heute nicht mehr so gut.
Ein wichtiger Grund ist, dass der Mainstream in diverse Subkulturen zerfällt und von diesen Szenen wiederum geprägt wird. Wie jeder Ethnologe weiß, lassen sich Kulturen nicht gut von außen verstehen und beschreiben. Die kommunikativen Verhältnisse zwischen Marken und Zielgruppen haben sich verschoben, weil sich Zielgruppen nun eher als Subkulturen und weniger nach klassischen demographischen Kriterien erklären lassen. Subkulturen definieren ihre Bedürfnisse selbst und haben ihren eigenen Blick auf Marken.
Daraus ergibt sich der Bedarf für einen Dialog auf Augenhöhe. Für diesen Ansatz hat sich in den letzten Jahren der Begriff Cultural Marketing etabliert. Die darauf spezialisierten Agenturen sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Müsste es aber nicht das ureigenste Interesse von Agenturen im Allgemeinen und Kreativagenturen im Speziellen sein, dass die von ihnen entwickelten Ideen auf Resonanz in Popkultur oder Subkultur treffen? Braucht es spezialisierte Agenturen, oder werden in wenigen Jahren fast alle Agenturen so arbeiten, weil es immer weniger klassische Kampagnen gibt?
Kultur ist manifestiert in uns, in der Gesellschaft. Jeder Mensch ist Teil einer Subkultur, auch wenn das nicht allen so bewusst ist. Es kann etwas sein, was nach außen vielleicht gar nicht wie eine Kultur wirkt. Wer Teil davon ist, kennt die Dos & Don’ts. Agenturen kommen also gar nicht daran vorbei, sich damit zu befassen. Das haben wir in der Vergangenheit womöglich etwas aus den Augen verloren. Zu oft haben wir geliefert, was die Marken wollten, und zu wenig gefragt, was die Subkulturen brauchen und wie beides zusammenpasst.
Langfristig in Kulturen eintauchen
Um als Agentur hier Erfolg zu haben, braucht es Menschen, die in Subkulturen verankert sind, mit Leidenschaft und Expertentum. Menschen wie Niko Backspin, der zusammen mit Franziska Gregor und Sven Labenz die Unit Serviceplan Culture leitet. Mit Niko habe ich in Folge #129 gesprochen. Neben seiner Agenturtätigkeit ist er Inhaber und Chefredakteur des Hip-Hop-Magazins Backspin, das früher auch gedruckt erschien.
Serviceplan hat ein datengetriebenes Score-Modell entwickelt, um festzustellen, welches kulturelle Feld jeweils am besten zu einer Marke passt. Doch das ist nur der erste Schritt. Denn im konkreten Dialog mit der Subkultur stellt sich womöglich heraus, dass dort andere Marken bevorzugt werden. Was dann zu einem neuen Nachdenken führt. Letztlich ist das Ziel, langfristig in Kulturen einzutauchen, statt nur kurzlebige Kampagnen zu fahren.
Kampagnen sind gelernte Mechanismen in diesem System. Sie brauchen aber den Rahmen eines Fahrplans, der festlegt, wie eine Marke mit einer Kultur in Verbindung kommt. Welche Eckpunkte sind dabei zu beachten, und wie erreichen wir eine Langfristigkeit in der Planung? Wenn Kampagnen nur kurzfristig angelegt werden und von einer Subkultur zur nächsten springen, kann das nicht gelingen.
Das richtige Verhältnis von Geben und Nehmen
Wenn Marken nur episodisch in eine Kultur eindringen wollen, bleiben sie ein Fremdkörper. Dann saugen sie vielleicht etwas Honig daraus, machen sich aber keine Freunde. Im Gegenteil. Langfristigkeit funktioniert besser. Niko dreht für Porsche seit Jahren eine Doku-Reihe über Hip-Hop namens „Back to Tape“, die eine überraschende Brücke zur Marke schlägt. Red Bull hat über 20 Jahre hinweg die Tanzkultur im Hip-Hop unterstützt und so erreicht, dass die Vertreter der Kultur die Marke als Enabler sehen.
Der Dialog mit der Subkultur darf nicht erst am Ende der Nahrungskette stehen, wenn Marken und Agenturen bereits den Großteil ihrer Arbeit gemacht haben. Es reicht auch nicht aus, Cultural Marketing als exotisches Experiment mit einem Bruchteil des Gesamtbudgets zu betreiben, wenn der ganze, große Rest der Markenarbeit – Branding, Awareness, Performance – davon völlig unberührt bleibt. Es müssen an den richtigen Stellen die richtigen Entscheidungen getroffen werden.
Ein Schlüssel zum Erfolg ist das richtige Verhältnis von Geben und Nehmen. Dazu braucht es einen Cultural Fit zwischen Marke und (Sub-)Kultur. Marken müssen sich und die jeweilige Subkultur fragen, was diese braucht und was sie ihr geben können. Was könnte gut ankommen, was nicht so gut? Erst aus diesem Dialog können dann, gemeinsam mit Vertretern der Subkultur, Kampagnenideen entstehen, die Resonanz erzeugen.
Im Idealfall wird die Kampagne dann auch mit Künstlern, Fotografen und Regisseuren aus der jeweiligen Szene realisiert. Dieser Ansatz steht im Licht der Glaubwürdigkeit, in diesem Kontext gern Credibility genannt. Es ist ein Abschied von der alten Logik, die zuerst die Marke und das Produkt sieht und von dort aus in Richtung Zielgruppe denkt.
Die Suche nach dem Cultural Fit
Diese Übersetzungsarbeit, eine klassische Kernleistung von Agenturen, wird in der Praxis mal besser und mal schlechter gemacht. Dafür sind verschiedene Faktoren verantwortlich, doch oft fehlt es auch am Wissen über die Kultur. Wenn Unternehmen und Marken Geld in eine bestimmte Kultur pumpen, dann sollte es auch in die richtigen Stellen fließen, zum beiderseitigen Nutzen.
Ein weiterer Schlüssel ist der Dialog auf Augenhöhe zwischen Kultur und Business mit der Agentur als Vermittler und Übersetzer. Dafür braucht es ein Expertentum für die jeweilige Subkultur, aber die Mechanismen dahinter wiederholen sich über verschiedene Fankulturen hinweg. Was wiederum ein Grund für die Spezialisierung auf Cultural Marketing sein kann.
Es braucht Menschen, die das verstehen, und ein Netzwerk, das in die verschiedensten Subkulturen hineinreicht. Beides ist heute noch nicht weit genug verbreitet. Auch in Entscheiderpositionen sitzen Menschen, denen das nötige Wissen fehlt. Und auch die Anknüpfungspunkte, denn Kultur ist letztlich auch im Persönlichen und Privaten getrieben.
Cultural Marketing beginnt mit der Suche nach dem Cultural Fit und dem Dialog mit der Subkultur. Es verändert das Selbstverständnis von Marketing (Stichwort Demut) und steht auch Agenturen gut zu Gesicht, die sich nicht als dezidierte Cultural-Marketing-Agenturen verstehen.