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Von Zyklen, sprialförmiger Dynamik und dem unendlichen Spiel

Kim Alexandra Notz

18. Dezember 2024

Wer ein Business startet, nimmt an einem Spiel teil, das schon vorher begonnen hat und auch kein Ende hat. Simon Sinek hat das in seinem 2019 erschienenen Buch „The Infinite Game“ beschrieben. Für Agenturen ist das ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke, denn die wenigsten unserer Kundenbeziehungen sind so langlebig, wie wir uns das vielleicht wünschen würden. Und auch die Konstellationen in der Kollaboration mit anderen Agenturen ändern sich schnell.

Dennoch liegt Mehrwert darin, in der Zusammenarbeit über Agenturgrenzen hinweg nicht kurzfristig das Meiste herauszuquetschen, sondern langfristige Beziehungen aufzubauen. Am Ende wird dadurch der Kuchen für beide Seiten größer. So beschreibt Max Orgeldinger, neben Annabelle Jenisch Co-CEO von TLGG, den Ansatz und die Herausforderung. Die beiden waren in Folge #113 meine Gäste.

Kollaboration entkommt allerdings nicht dem Gefangenendilemma: Sobald ein Partner nicht mehr kollaboriert, verliert zuverlässig der andere. Das Risiko bleibt, weshalb persönliche, individuelle Beziehungen, teilweise über Jahrzehnte gewachsen, die beste Währung sind, die wir in unserer Branche haben – The Infinite Game. Agenturgeschäft ist und bleibt ein People Business, und Vertrauen eine der wichtigsten Ressourcen.

Das gilt auch bis in die Teams hinein, für die eine Zusammenarbeit mit anderen Business Units oder fremden Agenturen oft mit Veränderung und Unsicherheit einhergeht. Seit 2015 ist TLGG Teil der Omnicom-Gruppe, was eben auch viel Kollaboration mit sich bringt. Das gegenseitige Kennenlernen und das Wissen darüber, welche Kompetenz an anderen Stellen der Organisation vorhanden ist, ist eine Aufgabe für sich.

Social Media ist tot, Micromanagement lebt

Und insbesondere eine Managementaufgabe, dies den Teams zu vermitteln. Micromanagement nennt Max Orgeldinger das halb-ironisch. Das Management muss tief genug in den Projekten und im Alltagsgeschäft sein, um Potenziale für Kollaboration erkennen und Teams mit potenziellen Kollaborationspartnern vernetzen zu können.

Das alles ist nicht konfliktfrei, und es gehört zum Selbstverständnis von TLGG, diese Konflikte anzunehmen. Sie sind der Preis für den Mehrwert von unterschiedlichen Spezialisierungen und verschiedenen Kulturen. Unterschiedliche Interessen, Ängste und Sorgen gehören auf den Tisch und müssen ausverhandelt werden.

„Je mehr die Menschen das machen, desto stärker erkennen sie auch, welchen Vorteil sie daraus ziehen“, so formuliert es Annabelle Jenisch. Je häufiger sie in einer Projektsituation zusammen mit anderen Business Units oder anderen Teilen der Omnicom arbeiten, desto mehr können sie daran wachsen. So entsteht auch ein positiver Flywheel-Effekt, der es dann immer einfacher macht.

Christoph Bornschein, Fränzi Kühne und Boontham Temaismithi gründeten TLGG 2008, damals unter dem vollen Namen „Torben, Lucie und die gelbe Gefahr“, geschickt vermarktet als die erste Social-Media-Agentur Deutschlands. Social Media ist auch heute noch das Kerngeschäft, obwohl der Begriff mittlerweile in die Irre führt, wie Max provokant auf den Punkt bringt: „Social Media ist schon seit Jahren tot.“ Der Großteil des konsumierten Contents kommt heute von Profis, die davon leben. „Meiner Meinung nach sind wir ein bisschen naiv, wenn wir so tun, als sei das alles so sozial. Das sind einfach die heutigen Medien.“

Raus aus der Reklamefalle

Von dort aus denkt TLGG Marketingstrategien, die dann kanalübergreifend funktionieren. Hier muss auch das Produkt mitgedacht werden. Dieses Verständnis von Marketing geht über das hinaus, was hinter dem Begriff Reklamefalle steckt: die Selbstverzwergung des Marketings, das sich auf Werbung beschränkt und die anderen drei Ps (Price, Product, Place) vernachlässigt. Die beiden glauben sehr daran, dass wir Marketing wieder ganzheitlicher denken können.

So betrachtet ist die vermeintliche Nische sehr viel größer als es auf den ersten Blick scheint. Was in Ermangelung eines griffigeren Begriffs weiterhin Social Media heißt, ist der Ausgangspunkt für das Marketing- und Kommunikationsverständnis von TLGG: nativ digital, immer zuerst an die digitalen Kanäle gedacht und auf das Nutzerverhalten dort geschaut.

Das ist auch die Grundlage dafür, dass Agenturen im Wettbewerb mit den klassischen Beratungen ihren Teil vom Kuchen abbekommen und sich auf Augenhöhe in diese Diskussionen einmischen können. Eine wichtige Grundvoraussetzung ist, dass die Marketingabteilung entsprechend positioniert ist. Auch das hängt am Reifegrad der jeweiligen Organisation, aber möglicherweise auch am Standing und an der Positionierung des oder der CMO.

Aus dem Anspruch an ein holistisches Marketingverständnis entsteht die Brücke zum Consulting, dem zweiten TLGG-Arm neben der Agentur. Beide stehen als separate Unternehmen nebeneinander. Für das Consulting brauchte es eine eigene Wiese, da es ein anderes Geschäftsmodell mit anderen Fragestellungen und anderen Buying Centern beim Kunden ist. Beratung wird im Agenturgeschäft sehr unterschiedlich interpretiert. TLGG Consulting konkurriert eher mit Unternehmensberatungen wie BCG oder McKinsey.

Angesichts von zunehmend komplexen Fragestellungen führt TLGG die beiden Teile mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen heute wieder enger zusammen. Neben inhaltlichen Gründen für stärker integrierte Projekte sprechen auch Kundenwünsche dafür. Zur Existenzberechtigung von großen Networks wie Omnicom gehört, dass große globale Unternehmen entsprechend große Etats ausschreiben und gern alles aus einer Hand haben möchten. Für eine mittelgroße Agenturgruppe wie TLGG mit heute rund 250 Köpfen ist integriertes Arbeiten dann der einzige Weg. Übrigens auch mit anderen Netzwerken außerhalb von Omnicom.

Spiralförmige Dynamik

Langfristig betrachtet sehen wir in unserer Gesellschaft und auch im Agenturleben spiralförmige Bewegungen mit einer Aufwärtstendenz. Organisationsprinzipien wie Zentralisierung oder Dezentralisierung mögen sich wiederholen, aber immer mit einem Twist. Es kommen neue Erfahrungen und Erkenntnisse hinzu, es ist nicht einfach nur die ewige Wiederkehr des Immergleichen. Wir lernen kollektiv dazu. Das ist jedenfalls die optimistische Sicht, wie sie Don Beck und Chris Cowan in „Spiral Dynamics” entwickelt haben. Auf der einen Seite Neugier und stetige Selbsterneuerung, auf der anderen Seite die Wiederkehr des bereits Bekannten, nun aber mit neuem Wissen und einer neuen Perspektive darauf.

Weshalb wir die einzelnen Phasen auch nicht einfach überspringen können. So einiges, was unter dem Label „New Work“ läuft, sehen Annabelle und Max heute kritisch. Was aber nicht heißt, dass sie das nicht alles mal ausprobiert haben. Heute versuchen sie eher, ihren Führungsstil auf gute Kommunikation zu optimieren als auf Freiheit oder andere zentrale Werte aus dem Wertekosmos von New Work. Schon allein die Größe der TLGG-Gruppe bedingt geringere Freiheitsgrade als in der Gründungsphase. Was sie nicht sagen: auch die Zugehörigkeit zu einem börsennotierten Netzwerk.

Die Restriktionen aber im Dialog mit den Teams transparent und verständlich zu machen halten die beiden für das Modernere und Menschlichere als die Obsession, dass Freiheit und eine ausschließlich freiheitsliebende Kultur gerade en vogue sind. So empfindet es Annabelle eher als ihre Verantwortung, den Teams eine klare Perspektive zu geben, wo sie gerade stehen und warum die beiden sich so verhalten wie sie sich verhalten.

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