Konsumenten und ihre Wünsche sind nicht frei von Widersprüchen, denn Menschen sind mehr als bloße Verbraucher von Industrieprodukten. Sie sind Teil verschiedener Kulturen und Communities. Die Verbraucher sind heute durchdigitalisiert wie nie zuvor und sehnen sich gleichzeitig nach guten Erlebnissen in der analogen Welt. Ein Paradox, oder zwei Seiten der gleichen Medaille?

Auf Erlebnisse baut sich inzwischen ein ganzer Wirtschaftszweig auf, die Experience Economy. Den Begriff haben B. Joseph Pine II und James H. Gilmore schon vor mehr als 25 Jahren geprägt. Sie unterscheiden Erlebnisse als eigene wirtschaftliche Kategorie von Dienstleistungen, Produkten und homogenen Massenwaren, den Commodities. Je stärker Produkte und Services austauschbar werden, desto mehr tritt das Erlebnis in den Vordergrund. Nur ein Premium-Erlebnis rechtfertigt dann einen Premium-Preis.

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Erlebnisse haben heute so gut wie immer beide Komponenten, digital wie analog. Die Verbraucher haben online wie offline die gleichen Erwartungen an ihre Markenerlebnisse. Die Kunst ist, beides so zusammenzubringen, dass die paradoxen Konsumenten in ihrer Customer Journey ein durchgängiges Markenerlebnis bekommen. Und so kommt es, dass sich einstige Eventagenturen heute im Kern der Arbeit an der Marke wiederfinden. Agenturen wie die AVANTGARDE Group, mit deren CEO Marc Schumacher ich in Folge #107 gesprochen habe.

Gegründet hat die Agentur 1985 Martin Schnaack, der sich Ende 2022 nach 37 Jahren an der Spitze zurückgezogen und Marc Schumacher den Chefsessel überlassen hat. Schon seit 2019 liegt die Mehrheit beim Private-Equity-Investor EMH Partners. Heute ist AVANTGARDE eine Agenturgruppe mit 850 Köpfen und einer Reihe von Tochterfirmen wie der Digitalagentur Slash.Digital, Trendbüro und CAYA, einer Boutiqueagentur mit Sitz in Amsterdam, die sich auf das spezialisiert hat, was Marc Schumacher gerne „kulturelle Intelligenz“ nennt.

Nur wenige Marken haben eigene Communities

 

Die Kultur, oder sagen wir besser: die Kulturen sind nämlich immer schon da, bevor eine Marke auf den Plan tritt. Kulturen und Subkulturen manifestieren sich in Communities, und Marken können im besten Fall etwas dazu beitragen: eine Kultur oder eine Community bereichern. Diese Sichtweise stellt die heute verbreitete Annahme auf den Kopf, derzufolge Marken ihre eigenen Communities hätten. Das mag in manchen Fällen so sein, aber selbst eine Premiummarke wie Porsche betreibt die wenigsten Porsche-Clubs selbst. Es sind vielmehr die Menschen, die von Porsche als Marke und den Produkten fasziniert sind. Communities organisieren sich selbst.

Das Marketing hingegen nutzt den Begriff Community heute dermaßen inflationär, dass mittlerweile schon Facebook-Fans, Newsletter-Abonnenten oder Kundenkarteninhaber als Teil einer Community gelten. Marc Schumacher hält „Community“ für eine der zentralen Marketing-Bullshit-Vokabeln der letzten zwei, drei Jahre. Nach seiner Einschätzung werden es die wenigsten Marken schaffen, zum Kern einer eigenen Community zu werden. Vielmehr empfiehlt er das, was er „Community Matching“ nennt: Wo sind bereits starke Communities, in die sich eine Marke einbringen kann?

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Bei solchen Fragen geht es um weit mehr als die Inszenierung von Marken in physischen Räumen. Die Customer Journey ist heute unausweichlich ein analog-digitaler Hybrid, in so gut wie allen Fällen. Doch welche Marke hat schon sämtliche Touchpoints so im Griff, dass ein konsistentes Markenerlebnis entsteht? Eine verbreitete Schwäche, die übrigens Onliner wie Offliner teilen, ist der übermäßige Fokus auf die Transaktion. So wird Performancemarketing häufig überstrapaziert und bis zum letzten Prozentpunkt ausoptimiert, zulasten von Marke und Erlebnis. Auch im stationären Handel tritt die Inszenierung oft zugunsten des Abverkaufs zurück.

Die Kathedralen der Marke

 

Ironischerweise erzielt Apple in seinen Stores Rekordumsätze pro Quadratmeter Handelsfläche, gerade wegen der Inszenierung und des exzellenten Kundenerlebnisses. Die Läden sind für Marc Schumacher die Kathedralen der Marke Apple in der Offline-Journey. Als digitale Luxusmarke mit physischen Produkten ist Apple in einer einzigartigen Position als für viele unerreichbares Vorbild wie als Lehrbeispiel. Die wertvollste Marke der Welt ist auch und gerade in der Experience Economy führend.

Das exzellente Kundenerlebnis entsteht aus dem Zusammenspiel von Retail, online wie offline, den physischen Produkten, dem Software-Ökosystem und den Services. Nur für diese Exzellenz sind die Apple-Kunden bereit, auch die entsprechenden Premium-Preise zu zahlen. Viele Marken leiden hingegen an einem Ungleichgewicht: Sie betreiben zwar sehr viel Media-Kommunikation, aber sobald ihre Kunden zum Telefon greifen, landen sie in der Service-Hölle.

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Nun kann nicht jede Marke ihre eigenen Apple-ähnlichen Stores aufbauen. Gerade Start-ups und digitale Player tun sich oft schwer mit dem stationären Handel. Hier kommt ein relativ neues Konzept ins Spiel, das sich in den letzten Jahren zunehmend etabliert hat: Retail as a Service. Statt eigene physische Läden und das entsprechende Know-how aufzubauen, mieten sich Marken in bereits bestehenden Handelsflächen ein. So können sie von den Erfahrungen des stationären Handels profitieren.

Auch hier geht es zuerst um die Experience: Die Konsumenten sollen Produkte erleben, anfassen und ausprobieren können. Wo dann die Transaktion stattfindet, ist zweitrangig. Oft werden die Produkte direkt nach Hause geliefert. Retail as a Service beschränkt sich nicht auf Pop-up-Stores. Es kann die gesamte Präsenz in der Fläche und im Handel bespielen – auch online. AVANTGARDE hat mit der vor zwei Jahren übernommenen Tochter nonplusultra eine eigene Retail-as-a-Service-Agentur, die Marken und Handel zusammenbringt, von der Strategieentwicklung bis zur Umsetzung.

Konsumenten brauchen physische Orte

 

Dem Abgesang auf den stationären Handel – Stichwort Galeria Karstadt Kaufhof – will sich Marc Schumacher nicht anschließen. Im Podcast zitiert er Zahlen aus Nordamerika, wo die Anzahl der physischen Läden im letzten Jahr ein Allzeithoch erreicht hat. Und das trotz des Wachstums im E-Commerce, das sich allen Umsatzdellen zum Trotz mittel- und langfristig weiter fortsetzen wird, sobald die aktuelle, krisenbedingte Konsumzurückhaltung überstanden ist.

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Der Fokus auf den Niedergang überkommener Handelskonzepte übersieht leicht, wie viel gerade in Bereichen wie Brand Spaces oder Showrooms passiert. Diese Stores sind intelligent eingebettet in die Customer Journey, die Transaktion findet womöglich anderswo statt, zum Beispiel online. Der stationäre Handel muss seine Fixierung auf die Transaktion aufgeben und sich auf das Paradigma der Experience Economy einstellen.

Die Menschen kommen weiterhin in die Innenstädte, nicht zwingend, um etwas zu kaufen, sondern um dort etwas zu erleben. Die paradoxen, durchdigitalisierten Konsumenten brauchen physische Orte, um Marken und Produkte (und andere Menschen – Stichwort Communities) erleben zu können. Deshalb, davon ist Marc Schumacher überzeugt, wird die Bedeutung des Viktualienmarkts in München oder des Isemarkts in Hamburg in zehn Jahren höher sein als heute.

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Kontakt

Noah Charaoui

Recruiter
talents@knsk.de