Die Macht des Offensichtlichen: Warum die besten Ideen oft direkt vor unserer Nase liegen
„Big ideas are so hard to recognize, so fragile, so easy to kill. Don't forget that, all of you who don't have them."– John Elliott Jr.
Als die ersten iPhones 2007 in die Läden kamen, spotteten Nokia-Manager über das Gerät ohne physische Tastatur. „Niemand wird auf Glas tippen wollen", lautete der Konsens. Heute wirkt das iPhone so offensichtlich richtig, dass wir uns fragen: Wie konnten alle anderen es übersehen? Apple revolutionierte eine ganze Industrie. Nicht durch völlig neue Technologie, sondern durch die simple Erkenntnis: Menschen wollen ein Gerät, das alles kann, statt drei separate Geräte zu tragen.
Das ist die Macht des Offensichtlichen. Die größten Marketing- und Business-Erfolge unserer Zeit basieren selten auf komplexen Innovationen.
Sie entstehen, wenn jemand das Naheliegende sieht, ausspricht und konsequent umsetzt, während alle anderen es übersehen haben.
Kim Notz
09. September 2025
Das Paradoxon der unsichtbaren Einfachheit
Warum sind die einfachsten Ideen so schwer zu erkennen? Die Antwort liegt in drei psychologischen Fallen, in die besonders wir Marketingleute regelmäßig tappen:
Die Expertenfalle: Je tiefer wir in einem Thema stecken, desto blinder werden wir für das Offensichtliche. Wir suchen nach ausgeklügelten Strategien, übersehen dabei aber die simplen Wahrheiten, die unsere Zielgruppe längst verstanden hat.
Das Komplexitäts-Bias: Wir glauben unbewusst, dass schwierige Probleme komplexe Lösungen brauchen. Dabei zeigt die Geschichte immer wieder das Gegenteil. Steve Jobs (also, ehrlicherweise schon vor ihm Leonardo Da Vinci) fasste es treffend zusammen: „Simplicity is the ultimate sophistication."
Die Betriebsblindheit: Wir sind so sehr in unseren Frameworks, Prozessen und KPIs gefangen, dass wir vergessen, mit den Augen unserer Kunden zu schauen. Das Offensichtliche verschwindet hinter Datenrauschen und Buzzwords.
Wenn das Offensichtliche Milliarden bewegt
Die erfolgreichsten Unternehmen der letzten Dekade haben eines gemeinsam:
Sie haben nicht das Rad neu erfunden, sondern Selbstverständliches neu gedacht.
Airbnb erkannte: Menschen haben Platz, andere brauchen Platz. Offensichtlich? Absolut. Revolutionär? Definitiv.
Uber verstand: Niemand will 20 Minuten auf ein Taxi warten, wenn das Smartphone zeigen kann, wo das nächste ist. Die Technologie existierte bereits, aber es brauchte den Mut zur Einfachheit.
Spotify realisierte: Menschen wollen nicht 1000 CDs besitzen, sondern 1000 Songs hören können, wann sie wollen. Daniel Ek verwandelte diese banale Erkenntnis in ein 144-Milliarden-Dollar-Unternehmen.
Auch im Marketing zeigen die stärksten Ideen dieselbe DNA der offensichtlichen Einfachheit:
Snickers formulierte eine universelle Wahrheit, die jeder kennt, aber niemand so klar ausgesprochen hatte: „Du bist nicht du, wenn du hungrig bist." Fünf Worte, die das Offensichtliche auf den Punkt bringen. So offensichtlich, dass daraus sogar ein neuer Begriff geprägt wurde: „hangry" – die perfekte Verschmelzung von hungry und angry. Die Kampagne funktioniert nicht trotz ihrer Simplizität, sondern wegen ihr.
Diese Botschaften wirken, weil sie eine universelle Wahrheit aussprechen, die jeder kennt, aber noch niemand so klar formuliert hat.
Der Mut zur strategischen Langeweile
Das Schwierigste am Offensichtlichen ist nicht, es zu erkennen, sondern den Mut zu haben, es zu vertreten. In Meetings wird das Einfache schnell als „langweilig" oder „nicht innovativ genug" abgestempelt. Kreative wollen kreativ sein, Strategen wollen strategisch wirken, Chefs wollen Komplexität rechtfertigen.
Doch die stärksten Marken haben verstanden: Konsistenz schlägt Kreativität. Klarheit schlägt Komplexität. Das Offensichtliche schlägt das Ausgeklügelte.
McDonald's verkauft seit Jahrzehnten dasselbe Versprechen: schnell, günstig, überall gleich. Offensichtlich langweilig – und offensichtlich erfolgreich.
Was jetzt zu tun ist
Die Macht des Offensichtlichen wartet darauf, entdeckt zu werden. Aber nur von denen, die bereit sind hinzusehen statt wegzuschauen, zu vereinfachen statt zu verkomplizieren, zu hinterfragen statt zu akzeptieren.
Die nächste große Idee liegt nicht in endlosen Brainstormings, nicht in komplexen Studien, nicht im Silicon Valley. Sie liegt dort, wo sie schon immer lag: direkt vor unserer Nase. Wir müssen nur den Mut haben, hinzusehen.